Urteil im G8-Prozess korrigiert – Verfahren gegen Bochumer Studenten eingestellt
Es war der vorletzte Prozess seiner Art: Vor dem Landgericht Rostock sah sich Ende April ein Bochumer Student mit dem Vorwurf „schweren Landfriedensbruchs“ sowie „gefährlicher Körperverletzung“ konfrontiert – angeblich verübt im Rahmen der Rostocker Auftaktkundgebung zu den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm vor nunmehr fast zwei Jahren. Doch was sich am 2. Juni 2007 wirklich in Rostock zugetragen hatte, führt die Anklageschrift ad absurdum: So musste einer der beiden an der Verhaftung des Bochumers beteiligten Polizisten eingestehen, diesem mehrfach ins Gesicht geschlagen und ihm hierbei erhebliche Verletzungen zugefügt zu haben. Die gegen den erstinstanzlich zu einer mehrmonatigen Haftstrafe verurteilten Studenten vorgebrachten Beschuldigungen dagegen konnten nicht aufrecht erhalten werden, so dass das Verfahren gegen ihn in der Berufungsinstanz eingestellt wurde.
Jene massive Polizeipräsenz, die bereits die gesamten G8-Proteste begleitet hatte, machte selbst vor dem Verhandlungssaal im Rostocker Landgericht nicht halt: So saßen zwei bis unters Kinn bewaffnete Polizisten über die gesamte rund fünfstündige Dauer des Prozesses im Gerichtssaal. Derweil mussten zwei Berufskollegen in den Zeugenstand treten – krankgemeldet hatte sich hingegen der für die Festnahme des Bochumers maßgeblich Verantwortliche, Zugführer bei einer der zahlreichen seinerzeit in Rostock aufgefahrenen Einsatzhundertschaften. Somit blieb den beiden erschienenen Zeugen – beide sind trotz ihres relativ jungen Alters „demonstrationserfahrene Ordnungshüter“ – die Schilderung des Vorgangs überlassen. Und dies förderte Haarsträubendes zutage: So konnte sich keiner der Beamten mehr an irgendwelche von dem Beschuldigten angeblich ausgegangenen strafbaren Handlungen entsinnen. Auch mussten mehrfach Unstimmigkeiten im Vernehmungsprotokoll eingestanden werden, dessen wörtliche Formulierungen offenbar gar nicht von den polizeilichen Zeugen selbst, sondern vom vernehmenden Beamten stammten. Darüber hinaus enthielt die Anklageschrift weitere schwere funktionelle Mängel, so dass noch nicht einmal ersichtlich war, welcher der vorgeworfenen Tatbestände eigentlich in der Hauptsache verhandelt werden sollte. Nicht zuletzt diese schweren Unstimmigkeiten bewogen die Verteidigung zum schließlich erfolgreichen Antrag auf Einstellung des Verfahrens – allerdings gegen die Auflage einer Ableistung von 150 „Sozialstunden“. Dies wurde von dem Betroffenen sowie der Verteidigung nur deshalb akzeptiert, um eine mögliche Verfahrensfortsetzung wegen eines eventuellen Wiederauflebens des erstinstanzlich eigentlich bereits ad acta gelegten Vorwurfs des angeblichen „Widerstands gegen die Staatsgewalt“ bei der Verhaftung abzuwenden.
Solidarität mit Inhaftierten in Strasbourg
Eine juristische Farce wie diese ist leider kein Einzelfall: Bereits im unmittelbaren Umfeld der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm hatte es über 1.700 Ermittlungsverfahren – überwiegend wegen Nichtigkeiten wie dem Tragen einer Clownsnase oder dem Mitführen einer Schwimmbrille bei Protestversammlungen – gegeben, von denen 97 Prozent vor Aufnahme eines Gerichtsverfahrens eingestellt wurden. Auch die Proteste gegen den NATO-Gipfel in Strasbourg Anfang April „wurden von einer massiven polizeilichen und militärischen Überwachung und Repression begleitet“, heißt es in einem Flugblatt der „Soligruppe Rostock für die inhaftierten NATO-Gegner“, die vor dem Rostocker Landgericht eine Mahnwache abhielt. Und auch in Strasbourg wurden in Schnellverfahren mehrmonatige Haftstrafen ohne Bewährung ausgesprochen. Die Soligruppe Rostock konstatiert hierbei „nicht nur eine Strategie der Protestverhütung und Abschreckung“ durch eine zunehmende Unterdrückung und Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, sondern gar die „Außerkraftsetzung der rechtsstaatlichen Gewaltenteilung“ – eine gefährliche Entwicklung, die den Rechtsstaat dauerhaft aushöhlen könnte.
Quelle: bszonline.de