Im Oktober diesen Jahres hat die seit 24 Jahren besetzte Rote Flora eine Kampagne zu ihrer Verteidigung ausgerufen. Der formale Privateigentümer Kretschmer und Investor Gert Baer wollen den besetzten Status des ehemals städtischen Gebäudes beenden und eine Klage gegen den aktuellen Bebauungsplan einreichen. Sie haben angekündigt, aus der Flora ein sechsstöckiges Gebäude mit Konzerthalle für 2500 Besucher_innen, integriertem Stadtteilzentrum, Verkaufsflächen und Büroräumen nebst Kita und dreistöckiger Tiefgarage zu errichten. Zur Umsetzung wird die Gründung einer Aktiengesellschaft mit internationalen Investoren angestrebt.
Unverträglich bleiben!
Baer und Kretschmer kritisieren öffentlich, dass die Hamburger Hafenstraße in den Achtziger Jahren nicht geräumt wurde und erklären die Rote Flora zu einem gegenteiligen politischen Modellfall. Ihr Ziel ist laut Pressemitteilung, die Besetzer_innenszene zu demoralisieren und neuen Hausbesetzungen durch die Zerschlagung der Flora in Zukunft keine Perspektive mehr zu bieten. Ihr Angriff richtet sich ideologisch nicht nur gegen die Rote Flora als einzelnes lokales Projekt, sondern sie verstehen ihr Engagement als politisches Statement gegen Hausbesetzungen insgesamt. Die mehreren hundert Nutzer_innen des Hauses bezeichnet Baer inzwischen als »kriminelle und terroristische Vereinigung«.
Aufgrund der konkreten Bedrohung wurde im Rahmen einer Vollversammlung bundesweit und international zu Solidaritätsaktionen aufgerufen. Schon bevor bei irgendwelchen neuen Geldgeber_innen Hoffnung auf Gewinnmaximierung entsteht, soll durch überregionale Schlagzeilen und Abschreckung ein negatives Image des Investorenprojektes entstehen und deutlich werden, dass ein solcher Plan mehr Schaden anrichtet als Gewinne bringt.
Auf Beschwichtigungen der Politik wird sich die Rote Flora nicht verlassen. Sanierungs- und Bebauungspläne können sich ebenso ändern wie die Haltungen von Politiker_innen und Medien. Die Linie des regierenden Senates scheint darüber hinaus vor allem darin zu bestehen, sich selbst aus der politischen Schusslinie zu bringen. Durch Privatisierungen werden unbequeme Entscheidungen über die Privatwirtschaft geregelt, während die Politik ihre Hände in Unschuld wäscht. Dies erinnert nicht nur an die Abriss bedrohten Esso-Häuser an der Reeperbahn, sondern auch an die Auseinandersetzungen um das Ungdomshuset in Kopenhagen.
Von der Roten Flora wurde immer klargestellt, dass der aktuelle Konflikt in erster Linie einer um Stadt und Gesellschaft selbst ist. Die Auseinandersetzung geht nicht nur um das Gemäuer am Schulterblatt, sondern ist Teil von und bezieht sich auf die Verhältnisse, die es umgeben. Es geht uns im Kampf um die Flora nicht nur um den Erhalt des Hauses, sondern um die Flora als politisches Projekt und politische Idee. Wir sind uns bewusst, dass wir eine mögliche Räumung vermutlich nur im Vorfeld politisch verhindern können. Durch breite Solidarität und starke Bewegungen, die sich nicht nur in Verteidigungshaltung begeben, sondern die Veränderung der Verhältnisse zum Ausgangspunkt machen.
Shut Down Fortress Europe!
Die letzten Monate und Wochen waren bundesweit geprägt vom Kampf der Refugees um Bleiberecht. In Hamburg wurde wochenlang im Rahmen spontaner Demonstrationen und Proteste auf die Straße gegangen, um rassistische Kontrollen zu stoppen, aufgrund derer Refugees aus Lampedusa in der Perspektive abgeschoben werden sollen. Durch unterschiedliche Protest- und Aktionsformen, die sich selbstständig und unkontrolliert in Bewegung setzen, ist es gelungen, die Landesregierung vorübergehend in die Defensive zu bringen. Mittlerweile wird versucht, die Gruppe der Flüchtlinge aus Lampedusa zu spalten, indem die Kirchenführung als Hebel der Senatspolitik eingesetzt wird.
Umso wichtiger ist, dass sich alle Protestspektren deutlich und entschlossen zu Wort melden. Der dauerhafte Stopp der rassistischen Kontrollen ist keine Verhandlungsmasse in der Auseinandersetzung um das Bleiberecht der Lampedusa Flüchtlinge. Bleiberecht keine Frage des Herkunftslandes oder einer Einzelfallprüfung als Abschiebung auf Raten. Dauerhaftes, unbeschränktes Bleiberecht und Bewegungsfreiheit für alle – Dublin II abschaffen!
Während sich in Hamburg, Berlin und anderen Städten viele Menschen mit den Kämpfen der Refugees solidarisieren, kam es in der Peripherie der Städte oder ländlichen Räumen in den vergangenen Wochen immer öfter zu rassistischen Mobilisierungen von Anwohner_innen und einer Serie von Brandanschlägen auf Unterkünfte von Geflüchteten. Rassismus kommt nach wie vor aus der Mitte der Gesellschaft und staatliche Angriffe auf Flüchtlinge befördern populistische Stimmungen. Eine antifaschistische Praxis ist und bleibt daher ebenso unverzichtbar wie ein antirassistischer Bezug in stadtpolitischen Kämpfen.
Kapitalistische Stadtentwicklung
Ein anderes Beispiel wie sich Kämpfe in der Stadt überkreuzen und aufeinander beziehen können, bilden die Esso-Häuser auf St. Pauli. Über 100 Mieter_innen sollen dort vertrieben werden und ein riesiger Neubau mit Luxuswohnungen entstehen. Bestehende Clubs und Läden sollen dichtmachen und durch hochpreisiges Gewerbe ersetzt werden. Es wird versucht, die Interessen der Bewohner_innen gegen die der Anwohner_innen auszuspielen und die Politik hat jede erdenkliche städtebaupolitische Alternative fallen lassen, um dem Investor Bayrische Hausbau den Weg zu ebnen. Erste Kündigungen wurden für das Frühjahr 2014 ausgesprochen.
Sämtliche Optionen auf einen Erhalt des Gebäudes oder eine Neugestaltung im Interesse der Bewohner_innen und Anwohner_innen wurden verbaut, sämtliche Türen verschlossen. Nur ein sich radikalisierender Widerstand und breite Proteste scheinen die vermeintlich alternativlose Situation noch kippen zu können. Obwohl die Zusammensetzung des Widerstandes auf St. Pauli sehr viel heterogener ist, stehen die Rote Flora und die Esso-Häuser vor einem verblüffend ähnlichen Problem. Die Stadt privatisiert den Konflikt und gibt sich unbeteiligt. Im Ergebnis erscheinen massive Proteste und eine Eskalation als einzige Perspektive gegen eine Politik, die ihre politischen Zielsetzungen als kapitalistische Sachzwänge durchzusetzen versucht.
Für die Ausweitung der Kämpfe
Städte sind weltweit Orte von politischen Kämpfen und immer öfter beziehen sich diese aufeinander und vernetzen sich. Nicht nur die Fragestellungen und Investorenarchitekturen überschneiden sich, wenn in Istanbul, Athen, Barcelona, Frankfurt, Berlin, Amsterdam oder Kopenhagen gegen Gentrifizierung, Zwangsräumungen oder steigende Mieten demonstriert wird, sondern immer häufiger auch Protesterfahrungen und politische Zielsetzungen.
Politische Bewegungen entstehen dabei neu und bilden sich aus der sozialen Basis in den Städten. Der Kampf für den Erhalt der Roten Flora überkreuzt sich mit Kämpfen anderer besetzter Häuser und Stadtteilprojekte weltweit. Es gibt Widerstand von Mieter_innen gegen Aufwertung und Vertreibung. Protest gegen die Privatisierung des Städtischen, Selbstorganisierung und Sabotage gegen Repression und das menschenverachtende System aus Abschiebung und Abschottung der Außengrenzen.
Die Rote Flora ist nur einer von vielen Orten, an dem sich diese Auseinandersetzungen derzeit im Protest widerspiegeln. Es geht für uns weder an der Flora noch bei den Esso-Häusern noch im Centro Sociale oder anderen umkämpften Räumen um einzelne Projekte. Es geht um ein radikal anderes Verständnis von Stadt und Gesellschaft. Um grenzüberschreitende Solidarität, eine Praxis der Aneignung und die Vergesellschaftung des Bestehenden, um kapitalistische Zwänge und patriarchale Normen anzugreifen.
Right to the City – Fight Capitalism!
No Border – No Nation!
Weitere Informationen findet ihr auf florableibt.blogsport.de.